HAIR - ein Appell für
den Frieden
Rund vierzig junge Menschen haben sich zusammengefunden, um auf ihre Art
einen Beitrag zum Frieden in der Welt zu leisten, einen kleinen zwar nur,
ganz unten 'an der Basis', aber dafür einen um so engagierteren:
In drei harten Arbeitsphasen haben sie gemeinsam eine Inszenierung für
das legendäre Rockmusical HAIR erarbeitet. Das beinahe historisch
anmutende Stück wurde unter der Anleitung eines erfahrenen Regie-
und Choreographieteams als aktuelle Friedensbotschaft in Szene gesetzt
und unter professionellen Arbeitsbedingungen einstudiert. Dabei sind sie
alle 'hauptberuflich' Schüler und Studenten, die allerdings seit
Jahren ihre Freizeit auf der Bühne verbringen. Die meisten von ihnen
wirken bereits zum 3.Mal in einer Theaterproduktion mit, einige sogar
schon zum 7. Mal. Die Ältesten sind 23, die Jüngsten 16 Jahre
alt. Nach Gastspielen in Frankreich (1984) , Ungarn (1988 und 1989) und
Österreich (1989) freut sich die Gruppe nun ganz besonders darüber,
von der 'Organisation EL MANAR pour l 'education et la culture' in El
Jadida zu einem musisch-kulturellen Austausch in das Königreich Marokko
eingeladen worden zu sein. Am 23. Juli ' 89 wird die Musical-Gruppe nach
Marokko starten und während einer knapp vier-wöchigen Rundreise
mit dem Musical HAIR in Errachidia, in der Todraschlucht (,open air'),
in Marrakech, Essaouira, El Jadida (Theater und 'open air'), Rabat und
Meknes auftreten und so ihren Appell für den Frieden in musikalischer
Form darbieten. Noch im Herbst' 89 wird eine marokkanische Theatergruppe
zu einem Gegenbesuch in der KGS (= Kooperative Gesamtschule) in Stuhr-Brinkum
bei Bremen erwartet, so dass der musisch-kulturelle Austausch im wahrsten
Sinne des Wortes zu einem Austausch zwischen marokkanischen und deutschen
Jugendlichen werden wird und so letztlich durch die Musik wieder einmal
ein Beitrag zur Völkerverständigung direkt 'an der Basis' geleistet
werden kann.
(aus dem Programmheft / W.E. Mayr)
Warum noch einmal HAIR?
Und: Warum mit HAIR gleich nach Marokko?
Verrückte Hoffnungen?
Ja - sind die denn verrückt geworden? Das ist doch 20 Jahre her!
Und ausgerechnet mit HAIR nach Marokko zu fahren !
Freie Liebe und Drogenkonsum predigen, was?
Dass sich etwas Unpassenderes nur schwer hatte finden lassen, das denken
bestimmt viele, wenn sie von der neuen HAIR-Inszenierung hören.
Unpassend fand das 'Establishment' das Musical anfangs auch, als es im
Oktober 1968 in New York herauskam. Rockmusik war populär, nicht
aber 'bühnenfein'. Und der Inhalt war denkbar ungewöhnlich.
HAIR, "An American Tribal Rock Musical" (Untertitel im Orlginal)
, war ein Spiegel der ausgehenden 60er Jahre. Der Protest jugendlicher
Hippies und Randgruppen des amerikanischen Bürgertums gegen Wertvorstellungen
und verlogene Moral, gegen Vietnam-Krieg und Rassismus fand damit Ausdruck
auf der Bühne.
Gerome Ragni und James Rado, zwei Broadway-Schauspieler, entwickelten
die Idee und schrieben die Texte. Dadurch, dass sie lebten und fühlten,
was sie auf der Bühne auch als ihre eigenen Hauptdarsteller vorführten,
erhielt das Stück besondere Authentizität. Galt McDermot übernahm
die musikalische Ausgestaltung, die später mit einem Tony Award (einer
Art 'Theater-Oscar') ausgezeichnet wurde. Die Originalfassung des Werkes
lief im PUBLIC THEATRE off-Broadway nur 94 mal. In einer weiteren Aufführungsserie
im New Yorker Nachtklub CHEETAH überarbeiteten die Autoren das Musical
gründlich und erprobten verschiedene Versionen. Viele Songs entfielen
bei der Fassung, die am 29.April 1968 im BILTMORE THEATRE am Broadway
herauskam und den Welterfolg begründete.
1.742 Aufführungen en suite am Broadway und Kritiken, die eine neue
Musical-Ära einläuten wollten, zeugen von der Popularität.
Im selben Jahr kamen eine Produktion in London (EA: 29.9.1968, SHAFTESBURY
THEATRE) und auch eine deutsche Fassung von HAIR (24.10.196B, München,
THEATER IN DER BRIENNER STRASSE) heraus. Die Londoner Inszenierung wurde
übrigens erst nach sensationellen 1.998 Aufführungen durch einen
Theaterbrand unfreiwillig abgesetzt.
Trotz unzähliger Folgen von Vorstellungen fiel HAIR nie der glatten
und routinierten Professionalität zum Opfer. Die Aneinanderreihung
von losen Szenen ohne Aufbau und äußere Stringenz betonte die
Spontaneität und Lebenswut, die den Vorstellungen ihre Individualität
verlieh.
Inzwischen kennt so gut wie jeder die Zugnummern aus HAIR. Spätestens
die Verfilmung von Milos Forman 1979, die den Plot relativ frei umwandelte,
hat das Musical zu einem der bekanntesten des Genres werden lassen. Heute
jedoch ziehen Tournee-Gruppen jahrein jahraus durch die Gegend und bemühen
sich um krampfhafte, vordergründige Aktualität und Umdeutung
des Stückes als Ausdruck des 'New Age'. Sogar Erdgas-Firmen vermarkten
"Let the sunshine in" für gutbürgerliche Wärme-
und Sicherheitsgedanken.
Wir wollen diesen Wegen nicht folgen. 1968 und "Flower Power"
sind für
uns nur aus der Musik, aus Erzählungen, Büchern und Filmen rekonstruierbar.
Auch lässt sich aus einem "drop-out" kein angepasster "Mamas-Liebling"
stilisieren, dessen größte Sorge die wohlgeheizte Eigentumswohnung
ist .
Ist die Zeit für HAIR also vergangen? Schwelgen junge Leute, die
das Musical heute aufführen, in der Nostalgie der Generation ihrer
Eltern und Lehrer und fliehen sie die aktuelle Realität? Haben sie
verrückte Hoffnungen?
Ein kurzer Blick auf die damals so gefeierten Forderungen im Vergleich
zur heutigen weltweiten Situation erübrigt die Zweifel an der Aktualität
vieler Hippie-Ideen.
Unsere HAIR-Inszenierung ist als Retrospektive umgesetzt und bemüht
sich, an ursprüngliche Gedanken zu erinnern. Wir betonen die Gegenwartsbezogenheit
vieler Aspekte und haben eine konzentrierte Fassung erstellt, die sich
ohne allzu viel Erklärungen verstehen lässt. Besonders friedliches
Zusammenleben, aber auch Generationskonflikt, Ausgrenzung von Randgruppen,
Naturverschmutzung, Flucht in Traum-Welten, Sexualität, Liebe und
'Beziehungskisten' haben sich seit der Ur-Aufführung nicht so verändert,
dass sie kein Thema mehr wären.
Wir möchten in Marokko nicht den einzig wahren Glauben missionieren
und auch nicht mit international erhobener Faust die Menschenrechte erkämpfen.
Wir inszenieren uns weder selbst im dekadenten Tanz auf dem Vulkan noch
laufen wir mit Blümchenketten im Haar Hand in Hand der Sonne entgegen.
Wir leben heute und suchen nach eigenen Wegen.
Hoffnung, dass die Welt in einigen Dingen veränderbar sein muss und
die Zeit dafür eigentlich schon lange gekommen sein müsste,
finden wir nicht verrückt.
Ver-rückt haben wir vielleicht nur die Perspektive, aus der wir uns
der Realität stellen. Und - allein können wir doch nicht sein
mit unseren ver-rückten Hoffnungen?
(aus dem Programmheft / Susanne Klause)
INHALT:
Die Hippiekommune um Claude und Berger herum ruht sich nach einer Haschfete
aus. Militärpolizei taucht unverhofft auf und nimmt Claude mit, der
sich trotz seines Einberufungsbescheides nicht in der Kaserne gemeldet
hat. Erschüttert kommentiert die Gruppe, was Claude erwartet:
"Leiber, zerfetzt von eisernen Splittern.
Jämmerliches Ende im Stacheldraht.
Bajonett!
Schrei im Minenfeld!
Fleisch, das nur noch zuckt!
Elektronische Daten werden das...
Uniformen, Karabiner,
auch das Versandhaus schickt Gewehre!"
Eine eingeblendete, zurücklaufende Uhr zeigt den Versuch, die Zeit
noch einmal zurückdrehen zu wollen.
Aus der Retrospektive erleben alle noch einmal, wie diese Hippiegruppe
sich gefunden hat, wie sie zusammengewachsen ist - nicht nur durch unsinnigen
Klamauk, den sie selbstverständlich auch veranstaltet, sondern in
erster Linie durch das gemeinsame Vorhaben, sich dem Militärdienst
zu entziehen, um so ganz bewusst ein Zeichen zu setzen für den Frieden.
Auch Claude weigert sich während der Musterung, sich die Haare kürzen
zu lassen - er will nicht 'angepasst' werden. Die erniedrigende Untersuchung
während der Musterung war das äußerste, was zu ertragen
er bereit gewesen war.
(" . . . LaB es leben, Gott hat' s mir gegeben - mein Haar!")
Seine Eltern zeigen für diese Haltung zunächst überhaupt
kein Verständnis. Der Vater versucht, Claude aus der Hippiegruppe
herauszuholen - ohne Erfolg. Die Mutter wird schließlich nachdenklich
und muss einräumen, dass auch im Tierreich die Männchen, äußerst
bunt und farbenprächtig herumlaufen - nicht sehr viel anders als
Claude und seine 'Mit-Hippies' auch.
Ein Bote bringt schließlich die Einberufungsbescheide. Alle - bis
auf Claude - zerreißen diese Bescheide. Claude bleibt unentschlossen.
("Wo geh' ich hin. . . ?")
Zuvor hat Sheila Claude und Berger eröffnet, dass sie ein Kind erwartet.
Beide lehnen eine Vaterschaftsanerkennung zunächst ab.
("Warum sind Menschen nur so herzlos. . . ?")
Erst als sie erfahren, dass das Kleine im Zeichen des Wassermannes geboren
werden wird, zeigen sie plötzlich Interesse...
Nach der Pause (kurzer Umbau) feiern die Hippies ihre große Fete,
wobei auch religiöse Momente aus dem Hinduismus mit einfließen.
("Hare Krishna...")
Der ekstatische Tanz aller endet im gemeinsamen 'Kiffen'. Nach und nach
fallen alle in Trance. Claude erlebt in seinem Trip, wie er plötzlich
von der grausamen Umwelt eingeholt wird. Sein Hasch-Rausch führt
nicht etwa zu angenehmen Träumen, sondern vielmehr zu furchtbaren,
alptraumartigen Erlebnissen, in denen er hilflos zusehen muss, wie sich
die Menschen gegenseitig umbringen. Offenbar gibt es für ihn kein
Entrinnen aus dieser 'dreckigen Welt'.
Nach und nach sinken die Hippies zusammen, fallen in Schlaf, aus dem sie
plötzlich brutal herausgerissen werden - die Zeituhr ist inzwischen
wieder vorgelaufen zum Ausgangspunkt - : Militärpolizei taucht auf
und nimmt Claude mit...
Verzweifelt ruft die Gruppe nach Claude.
Claude taucht - nur für den Zuschauer sichtbar - als 'Gefallener'
auf. Was alle zuvor schon geahnt haben, ist grausame Wirklichkeit geworden...
Zurück bleibt ein Funke von Hoffnung:
"Wir nur,
wir aber wissen, wenn wir singen,
wenn uns' re Spinnweg-Sitars klingen:
Das Leben kann von innen
neu beginnen!
Lasst die Sonne ,
lasst den Sonnenschein
in euch hinein!"
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