Ort und Zeit: London, Anfang
des 20.Jahrhunderts
Prolog: Irgendwo
1.Akt: Covent Garden, 23.15 Uhr
2.Akt: Higgins‘ Laboratorium in der Wimpole Street am nächsten
Tag, elf Uhr vormittags
3.Akt: Besuchstag bei Mrs,Higgins; ihr Salon
- Pause -
4.Akt: Higgins‘ Laboratorium; Mitternacht
5.Akt: Salon von Mrs.Higgins
(Aufführungsdauer ca. 3 Stunden)
Der wohl populärsten Komödie Shaws liegt die Sage vom kyprischen
König Pygmalion zugrunde, der sich in eine weibliche Statue verliebte,
die von Aphrodite zum Leben erweckt wurde; in Ovids Metamorphosen wird
der König zum Bildhauer, der für die von ihm geschaffene Statue
der Galatea entbrennt. - Shaws Pygmaliongestalt ist ein Phonetiker, dessen
einzige leidenschaft der Reinheit und dem Adel der englischen Sprache
gilt und der davon überzeugt ist, dass die soziale Stellung eines
Engländers einzig und allein von seinem Akzent abhängt: Professor
Henry Higgins. Seine Galatea ist das Blumenmädchen Eliza Doolittle,
deren Gassenjargon ihm eines Abends in Covent Garden auffällt. Aufgrund
einer Wette mit seinem Fachkollegen Oberst Pickering geht er daran, sie
soweit von ihrem Cockney-Akzent und ihren Armeleutemanieren zu befreien,
dass sie in der besten Gesellschaft als feine Dame auftreten kann.
Imponiert Eliza anfangs noch die neue Umgebung im Hause des Professors,
so erkennt sie doch sehr bald, dass sie für ihn nicht viel mehr als
ein Versuchskaninchen darstellt. Higgins selbst macht daraus auch gar
kein Hehl: „Wenn ich mit ihr fertig bin, können wir sie ja
in die Gosse zurückstoßen.“
Allein Oberst Pickering ist es zu verdanken, dass aus Eliza eine wirkliche
Dame wird. Er benimmt sich im Gegensatz zu Higgins Eliza gegenüber
von Anfang an als Gentleman.
Als sie den entscheidenden Test, einen Botschaftsempfang, glänzend
be-steht, sonnt sich Higgins in seinem Triumph und ist gänzlich unfähig,
Elizas Verzweiflung zu verstehen. Sie hat erkannt, dass eine „Erziehung“
sie untauglich für ihren einstigen Broterwerb gemacht hat und dass
ihre Zukunft ihn nicht kümmert. Empört wirft sie ihm seine Pantoffeln
an den Kopf und demonstriert damit, dass letztlich die Selbstachtung ihr
zur wahren Menschwerdung verholfen hat. In einer großen Szene rechnet
sie mit ihrem „Schöpfer“ ab - Higgins muss sich zum ersten
Mal im Leben geschlagen geben.
Das Leitthema der Emanzipation findet eine komische Umkehrung im Schicksal
von Elizas Vater. Der Müllkutscher Alfred Doolittle, der Higgins
die Rechte an seiner Tochter für fünf Pfund abtritt, charakterisiert
sich selbst zu Beginn des Stückes als einen sein Leben genießenden
„unwürdigen Armen“, der die Moral des Mittelstands verachtet.
Am Ende aber läßt ausgerechnet er sich in das Korsett der bürgerlichen
Ehrbarkeit zwängen, weil er es nicht übers Herz bringt, das
Legat eines amerikanischen Millionärs und Gründers von Sittlichkeitsvereinen
abzulehnen, das er einer scherzhaften Empfehlung Higgins' zu verdanken
hat.
Um die Aussage Shaws, die man aufgrund der äußerst spritzigen
Dialoge in dieser Komödie eher als sekundär empfinden könnte,
stärker hervorzukehren, ist der vorliegenden Inszenierung ein Ausschnitt
aus dem 5.Akt in der Form eines Dialog-Prologs vorgeschaltet.
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